Englisch in nur 30 Tagen und Französisch in vier Wochen! Egal ob im Buchladen, an Sprachschulen oder im App-Store: Überall sieht man diese verlockenden Angebote, die einem versprechen, eine Sprache in einem kurzen Zeitraum zu erlernen. Wer würde nicht gerne in nur 30 Tagen fit in Englisch sein, sodass man während seines London-Aufenthaltes im nächsten Monat entspannt mit den Einheimischen über Gott und die Welt reden kann? Was diese Sprachkurse aber nicht verraten, ist die enttäuschende Tatsache, dass man für die Themen Religion und Geografie weitaus mehr als 30 Tage braucht, um frei und unbeschwert zu kommunizieren. Tatsächlich wäre es bemerkenswert, wenn jemand es in einem Monat (neben Arbeit, sozialen Kontakten und dem allgemeinen Alltagsstress) schafft, sich so viel einer Sprache anzueignen, dass er problemlos nach den Abfahrtzeiten der Züge fragen kann.
Es kommt ab und zu vor, dass Kund*innen an uns herantreten mit der Erwartung umgehend ihre Wunschsprache zu beherrschen. Manchmal sind es auch dringende Angelegenheiten, die zu solchen Aufträgen führen. Natürlich ist es immer möglich in einer Notangelegenheit das Beste herauszuholen, aber da muss man sich zum größten Teil auf ein Wunder verlassen.
Da stellt sich also die Frage, ob diese reizvollen Versprechungen alle nur heiße Luft sind. Ist es realistisch, beliebte Wunschsprachen wie Englisch, Spanisch, Französisch oder Italienisch in ein paar Wochen zu lernen? Die Antwort darauf ist kompliziert. Die Werbung kann garantieren, was sie will – letztendlich müssen wir nur wissen, wie wir sie zu verstehen haben.
Ja, es ist durchaus möglich innerhalb eines kurzen Zeitraumes eine Fremdsprache zu lernen. Die Frage ist nur, wie viel davon hängen bleibt und vor allem wie lange? Gelegentlich vergessen wir, wo wir unser Portemonnaie hingelegt haben oder wissen plötzlich nicht mehr, was wir jetzt eigentlich in der Küche wollten. Da kann man von unserem Gehirn nicht verlangen, eine Sprache in ihrer Komplexität nach wenigen Tagen für den Rest unseres Lebens (oder zumindest bis zum nächsten Urlaub) zu bewahren.
Andererseits können sich Intensivkurse durchaus lohnen. Ein Wochenendkurs katapultiert uns weit hinein in die Sprache und wir können, besonders am Anfang unserer Lernreise, viele einfache Grundlagen schnell meistern. Allerdings darf es hier dann nicht aufhören und wir müssen gerade dann hartnäckig dranbleiben, wenn wir die ersten Hürden überwunden haben und merken: “Hey, ich bin schon so weit gekommen. Ich kann das schaffen!”
Die Werbewelt können wir nicht revolutionieren, also fangen wir bei uns selbst an. Etwas, das wir stets tun sollten, ist das Überdenken unserer Mentalität beim Sprachenlernen.
Ich stehe nicht selten vor einem Gruppenkurs in einer Firma und höre von den Lernenden folgende Klage: “Wir sind die schwache Gruppe und nicht so leistungsstark wie die anderen.” Im Einzelunterricht wird bedrückt zu Boden geschaut und laut gedacht: “Ich lerne schon ein Jahr und schaffe es wohl nie bis zum B1-Niveau!” Der Vergleich mit anderen oder gar mit den Niveaustufen sind gefährlicher, als man vielleicht annehmen mag. Sicherlich gibt es jene, die durch Konkurrenz angetrieben werden, aber bei den wenigsten erzielt dies einen wünschenswerten Effekt.
Was hat es mit den erwähnten Niveaustufen auf sich? Sie entspringen dem sogenannten Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen, der entwickelt wurde, um Sprachlernenden und Sprachlehrenden eine Empfehlung auszusprechen, wie Sprachenunterricht aussehen könnte. A1 und A2 beschreiben daher die Grundkenntnisse einer Sprache, während B1 und B2 eine selbstständige Anwendungskompetenz bedeuten, die in einem C1 und C2-Niveau zu einer nahezu perfekten Sprachbeherrschung führen. Das bringt durchaus viele wichtige Vorteile mit sich: So kann man unter anderem nicht nur gezielt Sprachenunterricht auf europaweiter Ebene anpassen, sodass man trotz Umzügen bequem überall weiterlernen kann, sondern es hilft auch effektiv Lernende in passenden Gruppen zu unterrichten. Aber eine Gefahr zieht der Referenzrahmen doch mit sich: Er kann sehr schnell falsch verstanden werden.
Man schaut sich das Programm der nächstgelegenen Abendschule an und denkt sich schnell: “Oh! Wenn ich drei Jahre in Französisch investiere, dann bin ich ja schon auf einem B2-Niveau!” Zuallererst müssen wir hier beachten, dass das Abschließen eines B2-Kurses nicht zwingend bedeutet, dass man auch dieses Niveau besitzt, da man den Kurs dann perfekt vollendet haben müsste. Dazu dürfen wir nicht vergessen, dass besonders Abendschulen für den größten Lernerfolg neben des Unterrichtes auch viel Vor- und Nachbereitungszeit voraussetzen, in der man mehrstündige Sitzungen mit Hausaufgaben und Lerneinheiten einplanen muss, die man gar nicht immer realistisch im Privatleben umsetzen kann – und das soll man auch gar nicht!
Eine Sprache zu lernen ist eine lebenslange Angelegenheit. Immer wenn ich das meinen Kund*innen sage, erhalte ich schockierte Blicke. Ja, es klingt erstmal heftig, aber das ist es nicht. Ganz im Gegenteil: Wer das so verinnerlicht, wird merken, dass es ein absolut befreiender Gedanke ist. Selbst die beste Fremdsprachenlehrkraft wird bis ans Ende ihrer Lehrtage nicht auslernen. Das wäre auch schade, da das Lernen von einer anderen Sprache stets dafür sorgt, dass man sich interessantes Wissen über die Kultur und Welt anderer Menschen aneignet.
Wer eine Sprache lernt, der ist wie ein Wanderer ohne Ziel, immer unterwegs, mal langsamer und mal schneller, aber immer mit Freude. Und je weiter man kommt, desto mehr Leute trifft man und erfährt vieles über sie, man sieht neue Sachen, die einem vorher nie begegnet wären und vor allem ist man dankbar für jeden Schritt, auch wenn einer mal schwieriger fällt als der andere und die Beine gelegentlich müde werden.
An meine Kund*innen appelliere ich daher, ihre Mentalität zu ändern. Wir nehmen uns oft zu viel vor, setzen uns unrealistische Zeitziele und vergleichen uns mit anderen. “Wenn jemand Englisch in 30 Tagen lernt, dann kann ich das auch in 29!” Und dann sind wir enttäuscht, wenn unser abenteuerliches Vorhaben fehlschlägt und geben im schlimmsten Falle gleich auf.
Gründlich statt schnell – das ist hier die Devise! Wenn wir ein Haus für’s Leben bauen und wir dem Bauvorgang keine Zeit lassen, dann stellen wir unzufrieden fest, dass es langsam in sich zusammenfällt und wir es wieder aufwendig renovieren müssten. Auf frischen Fundament bauen wir auch nicht. Erst später stellen wir Wände auf und bauen ein Dach, sodass wir uns sicher fühlen. So hält es auch über Jahre hinweg. Eine Sprache ist da nicht anders, denn wenn wir uns in ihr nicht sicher fühlen, stürzt das Haus aus Grammatik und Vokabular über unserem Kopf ein.
Dann kommt die Einrichtung des Hauses, um die wir uns erst kümmern, wenn der Rohbau steht. (Daher sollten wir auch nicht erwarten, dass wir komplizierte Gespräche führen können, wenn die Grundlagen noch nicht da sind. Business-Englisch, beispielsweise, ist kein Anfängervorhaben – auch wenn man “Überlebenswissen” vermitteln kann.) Unsere Einrichtung variiert dann mit der Zeit und wir finden stets neue Sachen, die wir an die Wand hängen oder ins Regal stellen. Die Möglichkeiten sind endlos und so sind sie es auch in der Sprache. Letztendlich heißt das Beherrschen einer Sprache nicht nur, dass man Sachverhalte übersetzen kann, sondern vor allem, dass man sie aus einer neuen Perspektive sieht. Das ist eine unglaubliche Erfahrung, die wir nie unterschätzen sollten.
Sprachen begleiten uns unser Leben lang. Sie ermöglichen uns wundervolle Sachen und bereichern uns auf unvorstellbar vielen Ebenen. Wieso sollten wir es überstürzen und uns selbst frustrieren, wenn der Weg hier wahrhaftig das Ziel ist?
Wie im Leben müssen wir akzeptieren, dass manchmal einer vorläuft und das kann sicherlich ein unschönes Gefühl sein. Aber dann vergessen wir die Schönheit und Gemächlichkeit eines Spazierganges, den wir wie gesundes Sprachenlernen in unser tägliches Leben einschieben können. Somit wird Lernen zum Genuss und wir sind dankbar, dass dieser Spaziergang uns immer und immer weiterführt und nie aufhört, weil das Ziel bereits erreicht ist: Vorwärts im eigenen Tempo ohne ermüdet stehen bleiben zu müssen.
Tilo Böhme ist Lehrer für Englisch, Deutsch und Spanisch bei Sprachen Voss. Nachdem er den Master “British and American Transcultural Studies” an der Universität Rostock erfolgreich abgeschlossen hat, widmet er sich nun voll und ganz dem Sprachunterricht.
Kommentar schreiben
Edda Kahlen (Sonntag, 08 Dezember 2024 14:09)
Englisch