Mi enemigo de otros tiempos (1)
In der Schulzeit gab es kaum etwas Schlimmeres für mich als Spanischunterricht. Endlos schienen mir teilweise die Stunden, in denen ich genervt an die Tafel starrte, wo die Konjugationen spanischer Verben standen, und ich mir wünschte, sie würden sich in französische verwandeln.
Als ich in die 7. Klasse kam, wurde ich vor eine Entscheidung gestellt, die mir unheimlich schwer fiel. Wie meine Schwester zuvor wollte ich Französischunterricht nehmen. Aber man sagte mir, dass ich dann in eine neue Klasse käme, da man die Klassen nach der zweiten Fremdsprache unterteilte. Das kam für mich nicht in Frage, also entschied ich mich für Spanisch. Bis heute bin ich überzeugt, dass die Spanischlehrerin es auf mich abgesehen hatte. Aber wer konnte es ihr verübeln? Sonst immer ein artiges Kind wurde ich in den Spanischstunden zum diablo(2). Dass mir Sprachen eigentlich leicht fielen, wusste sie. Ich sagte absichtlich falsche Sätze, ich redete mit meinen Sitznachbarn und lernte nie Vokabeln. Letzteres ging tatsächlich eine Weile gut, denn ich nahm sogar einmal an einem Spanischwettbewerb teil – unter anderem, weil die Hälfte auf Englisch war, mein absolut bestes Fach. Den Wettbewerb habe ich nicht gewonnen, aber im Landeskunde-Teil die damals schockierende Erkenntnis, dass man los cuyes (3) in Peru isst. Kein Pluspunkt für Spanisch!
War es der Klang der spanischen Sprache von ejjjjemplo (4) bis Barccccelona? War es die Lehrerin, die ich nicht leiden konnte? Oder war es tatsächlich einfach die Verbittertheit darüber, dass ich nicht Französisch lernte? – Ich denke, dass alles zusammen der Grund war, warum ich Spanisch geradezu hasste.
In der Oberstufe des Gymnasiums erfüllte ich mir einen sehnlichsten Wunsch. Mittwochs nach der Schule ging ich stets zu meinen Großeltern, wo ich die Zeit verbrachte, bis es endlich abends immer so weit war, zum Französischunterricht an der Volkshochschule zu gehen. Auf dem Weg dahin sangen mir Disneycharaktere aus meinen Kopfhörern ins Ohr – c'est la fête, c'est la fête – und motiviert saß ich dann in dem kleinen Raum, in welchem ich mit mindestens zwanzig Jahre älteren Menschen Französisch lernte. Ich war fest davon überzeugt damals, dass ich eines Tages Englisch und Französisch studieren würde. Victor Hugo und Alexandre Dumas wollte ich lesen können. Ich träumte von Reisen nach Frankreich und der Québec.
Bald schon begann ich im Spanischunterricht zu merken, dass ich statt noventa an quatre-vingt-dix dachte, wenn ich die 90 im Lehrbuch anschaute. Ein großartiges Gefühl. Noch schöner fühlte es sich dann an, als ich die Schule mit dem Abitur verließ und Spanisch für immer auf Lebewohl sagen konnte... oder doch nicht für immer?
Während meines Germanistik- und Anglistikstudiums lernte ich am Sprachenzentrum der Uni Rostock brav Französisch weiter und erkannte, dass mir die Sprache lag. Beim fröhlichen Lernen ahnte ich aber nicht, was sich da anbahnte... ein Gefühl der Reue. Sollte ich Spanisch wirklich einfach so verlernen? Sollten all die Jahre, in denen mir el castellano (5) aufgedrängt wurde, denn ganz umsonst sein?
Bald schon hatte ich eine grauenvolle Französischlehrkraft, die für mich jeden weiteren Französischkurs der nächsten Semester unbesuchbar machte. Dann lernte ich einen Lateinamerikaner kennen, wurde mit dessen Kultur vertrauter und auf einmal geschah es, da saß ich im Spanischunterricht.
In der ersten Stunde überkam mich eine überwältigende Empfindung. So käsig wie es klingen mag, aber es fühlte sich an, als begegnete ich einem Feind aus alten Zeiten, mit dem ich endlich Frieden schloss. Ja, Spanisch fiel mir unglaublich schwer, da Französisch meinen Kopf blockierte und ich bei weitem kein Sprachgefühl für das Spanische hatte.
Aber da war dieser aufregende Drang, der es mir leicht machte, voller Freude in die Spanischstunden zu gehen. An der Uni schlich ich mich in Vorlesungen über die Literatur Lateinamerikas, ich entdeckte die Mythologien Mexikos und belegte in Anglistik ein Seminar über mexikanische-amerikanische Studien und entdeckte da ein großes Interesse für dieses wissenschaftliche Feld. Fast so wie die damaligen Träume der Québec fing ich an von Lateinamerika zu träumen. Aber im Gegensatz zu den französischsprachigen Gebieten hatte ich tatsächlich Ahnung von den Ländern, deren Sprache ich jetzt lernte.
Die größte Erkenntnis war aber, dass man in Lateinamerika anders Spanisch spricht. Aus ejjjjemplo wurde ejemplo und aus Barccccelona gleich Barcelona. Wahnsinn! Das klingt ja gar nicht so übel! Dann kam der Durchbruch im Unterricht der wohl besten Fremdsprachenlehrerin, die mich je unterrichtet hatte. Ich begann Spanisch wirklich zu begreifen!
Jetzt stellen wir uns mal vor, wir würden in die Vergangenheit reisen und meinem Schul-Ich erzählen, dass es eines Tages bei einer Sprachschule selbst Spanisch mit Freude unterrichten wird! Aus meiner sprachlichen Biografie habe ich vor allem eine Lektion gelernt: Der entscheidende Faktor beim Sprachenlernen ist nicht das sogenannte Sprachentalent, denn das hat mir nur bedingt geholfen. Es ist die Motivation! Wenn dich gar nichts reizt, an dem, was du lernst, kommst du nie voran. Manchmal erfordert es auch Mut, sich einzugestehen, dass man die Lust am Lernen einer Sprache verloren hat. Aber wenn da diese eine Sache ist, die dich antreibt, dann schätzt du jede neue Vokabel und jede auch noch so schwierige Grammatikregel, die dir den Schlüssel zum Verständnis einer neuen Sprache schenkt.
Begib dich auf die Suche nach deiner Motivation! Vielleicht dauert es einen Tag, eventuell auch Wochen. Erinnere dich, wieso du angefangen hast, dich an deine Lernsprache zu wagen und frage dich, was du jetzt von ihr erwartest!
Egal, ob du lernst, um deinen Traumurlaub möglich zu machen, um die aufregende Kultur anderer Leute in all ihren Facetten zu erforschen, oder um die (hoffentlich) lieben Worte verstehen zu können, dir dir dein ausländischer Partner in seiner Muttersprache sagt – wenn du nur das findest, was dich antreibt, dann erschließt sich dir jede Sprache – incluso español (6).
Ein kleiner Hinweis zum Schluss: Motivierte Lehrer sind Gold wert. Aber verlasst euch nicht auf den seltenen Fall, dass sie den Funken der Leidenschaft für die Lernsprache in euch entfachen. Sie können lediglich dort, wo Glut ist ein lodernes Feuer schaffen. Solch hervorragende Brandstifter findet ihr natürlich bei Sprachen Voss! ;-)
1 Mi enemigo de otros tiempos – Mein Feind aus einer anderen Zeit
2 el diablo – der Teufel
3 los cuyes – Meerschweinchen
4 el ejemplo – das Beispiel
5 el castellano – die kastilische Sprache (Spanisch, das in Spanien gesprochen wird; im Kontrast zum lateinamerikanischem Spanisch)
6 sogar Spanisch
Tilo Böhme ist Lehrer für Englisch, Deutsch und Spanisch bei Sprachen Voss. An der Universität in Rostock studiert er derzeit den Master “British and American Transcultural Studies“ und ist begeisterter Fremdsprachenfan. Am liebsten würde er ein dutzend Sprachen lernen. Die Motivation ist schon mal da.
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